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«Die Unterstützung der Frau ist die beste Strategie des Kinderschutzes»

In vielen Fällen häuslicher Gewalt sind auch Kinder und Jugendliche involviert. Oft sind sie Zeugen von Gewalttaten oder selbst von Gewalt betroffen. Über die Auswirkungen solcher Erlebnisse und welche Unterstützung Kinder im Frauenhaus erhalten, erzählt Stellenleiterin Jasmine Andres-Meier im Gespräch mit dem Liechtensteiner Volksblatt.


Betroffene Kinder sind oft von Ambivalenzgefühlen und Loyalitätskonflikten geplagt


Das ständige Hin- und Hergerissensein zwischen beiden Elternteilen und auch der möglichen Instrumentalisierung durch die Eltern ausgesetzt zu sein, kann schwerwiegende Auswirkungen auf das Kind haben.


Kinder, die in einer Familie, die von Gewalt geprägt ist, aufwachsen müssen, sind verunsichert, in ihrer Persönlichkeitsentwicklung beeinträchtigt und oftmals traumatisiert.

Das kann zu (langfristigen) Beeinträchtigungen der psychischen und physischen Gesundheit führen und stellt insofern eine Gefährdung des Kindeswohls dar. Oft fehlt ihnen die Erfahrung, dass Konflikte auch ohne Gewalt gelöst werden können. Dadurch laufen sie Gefahr, als Erwachsene zu Opfern oder Tätern zu werden.


Auch wenn Kinder keine direkte Gewalt erfahren, sind sie Zeugen und somit Opfer


Die Kinder sehen, hören, spüren immer die Gewalt, die jemand gegenüber einer dem Kind wichtigen Bezugsperson ausübt. Gewalt geschieht zudem in der Regel nicht nur einmal, sondern ist Bestandteil eines Misshandlungssystems, in dem die Abstände zwischen den Vorfällen kürzer werden und die Heftigkeit der Gewalt zunimmt.


Kinder suchen die Schuld bei sich


Aus Sicht des Frauenhauses ist es sehr wichtig, die Kinder im Fokus zu haben. Jasmine Andres-Meier und ihr Team bieten eine Bezugsperson an, welche zusammen mit den Kindern ihre persönlichen Schutzfaktoren stärkt und fördert. Die zuständige Beraterin führt mit den Kindern altersgerechte sozialpädagogische Gespräche. In diesen Gesprächen wird kindgerecht über die erlebte Gewalt gesprochen. Ganz wichtig ist, ihnen die Schuldfrage abzunehmen.


Kinder sehen sich selbst oft als Auslöser für die Gewalt und suchen die Schuld für die Eskalation bei sich. Das belastet sie enorm.

Jedes Kind reagiert unterschiedlich auf die erlebte Gewalt. Ob und wie sich diese Gewalterfahrungen auswirken, hängt von den individuellen Bewältigungsstrategien vom sozialem Umfeld ab. Viele Kinder haben ein natürliches Bedürfnis über schwere, möglicherweise traumatische Erfahrungen zu sprechen. Kinder wählen selbst aus, mit wem, wo und wann sie über eine solche Erfahrung sprechen. Die Mitarbeiterinnen des Frauenhauses bieten Gespräche an, um Fragen des Kindes, seine Sorgen, Ängste und Bedürfnisse zu hören und um dementsprechend reagieren zu können.


Kinder reagieren unterschiedlich und haben individuelle Bewältigungsstrategien


Es gibt Kinder, die häusliche Gewalt erfahren haben und sich dennoch zu Erwachsenen mit hoher Sozialkompetenz entwickeln. Diese Kinder besitzen die Fähigkeit, Probleme zu analysieren, Neues zu lernen, sich sprachlich auszudrücken, haben ein gutes Selbstwertgefühl und können sich von familiären Problemen distanzieren. Ganz wichtig sind auch soziale und emotionale Unterstützung durch verlässliche Bezugspersonen ausserhalb der Familie, dies können zum Beispiel Nachbarn, Lehrpersonen, Pateneltern, Jugendgruppen oder Freunde sein.


Kindern benötigen eine gewalt- und angstfreie Beziehung und Erziehung


Kinder brauchen verlässliche, vertraute und verfügbare Personen, die in der Beziehung feinfühlig genug sind, ihre Bedürfnisse zu erkennen und angemessen darauf zu reagieren. Kindern benötigen eine gewalt- und angstfreie Beziehung und Erziehung und eine entwicklungsorientierte Förderung zur Selbständigkeit.


Beziehungen zwischen Kindern und gewaltausübenden Eltern sind selten nur negativ.

Kinder erleben daher in diesen Situationen viele Ambivalenzen. Bestimmte Verhalten lehnen sie ab, machen ihnen Angst oder verletzen sie, andere Verhalten wie Zuwendung oder Fürsorgesequenzen schätzen sie.


Die gewaltausübende Person muss die Verantwortung für sein Handeln übernehmen


Gewalttätige Personen müssen lernen, ihr Verhalten nach den Bedürfnissen der Kinder auszurichten, wenn sie weiterhin Kontakt zu ihren Kindern haben wollen. Es geht darum, dass gewalttätige Väter eine konstruktive Beziehung zu ihren Kindern aufbauen.


Voraussetzungen für Kontakte sind der Schutz von Mutter und Kind vor weiterer Gewalt.

Der Vater muss bereit und fähig sein, die Voraussetzungen für einen gewaltfreien Kontakt zu Kind und Mutter zu schaffen. Das Kind will in der Regel weiteren Kontakt zum Vater. Hier gibt es verschiedenste Unterstützungsangebote, wie etwa das begleitete Besuchsrecht. Der Vater kann das Kind in einem geschützten Rahmen für eine gewisse Zeit sehen und so die Vater-Kind-Beziehung langsam wieder aufbauen. Die gewaltausübende Person muss die Verantwortung für sein Handeln übernehmen und bereit sein, fachspezifische Hilfe in Anspruch zu nehmen.


Das Thema häusliche Gewalt wird noch immer tabuisiert


Kinderschutz im Bereich häusliche Gewalt ist ein sehr herausforderndes Thema, dem sich sowohl die pädagogischen Mitarbeiterinnen des Frauenhauses wie auch alle anderen Bereiche der Sozialen Arbeit stellen müssen. Noch immer wird das Thema häusliche Gewalt tabuisiert. Die Auswirkungen von Partnerschaftsgewalt auf die Kinder wurden erst in den letzten Jahren untersucht. Die rechtlichen Veränderungen wie das Gewaltschutzgesetz und das Recht auf gewaltfreie Erziehung tragen dazu bei, dass das Thema öffentlich gemacht wird.


Nur wenn die Auswirkungen der erlebten Gewalt gegen die Mutter und Kinder beachtet werden, ist Kinderschutz in Fällen häuslicher Gewalt möglich.

Deshalb ist häusliche Gewalt ein Kinderschutzthema, das als Querschnittthema in allen Bereichen der Kinder- und Jugendhilfe beachtet werden muss. Es geht dabei immer auch um ein sorgfältiges Abwägen zwischen dem Schutz des Kindes und dem Schutz der Frau, dafür sind individuelle Konzepte unabdingbar. Kinder und Mütter brauchen Zeit, Ruhe und Schutz, um das Erlebte zu verarbeiten. Die Unterstützung der Frau ist dabei die beste Strategie des Kinderschutzes.

 

Wertvolle Links

Das Interview zum Download

Zur Person

Jasmine Andres-Meier

Stellenleiterin Frauenhaus












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