Körperliche und seelische Gewalt sind auch hierzulande präsent. Gemäss der Kinderrechte-Studie «Schweiz und Liechtenstein 2021» der Unicef gibt jedes vierte Kind an, Gewalt in der Erziehung zu erfahren.
«Gewaltfrei aufwachsen zu dürfen, ist ein Kinderrecht und in unserem Gesetz verankert», sagt Margot Sele, OSKJ-Ombudsfrau für Kinder und Jugendliche. Nur gerade 57 Prozent der Eltern geben aber an, gegenüber ihrem Kind noch nie körperliche Gewalt angewendet zu haben. Genau hier setzt die Arbeit der Kinderlobby Liechtenstein mit 24 Mitgliedsorganisationen an. Die Verurteilung nach Strafrecht ist der letzte zur Verfügung stehende Lösungsweg.
Es geht nicht darum mit dem Finger zu zeigen, sondern zu helfen
Mit der laufenden Kampagne «Gewalt-FREI erziehen» will die Kinderlobby Liechtenstein Lösungen aufzeigen. Erziehung ist herausfordernd, gerade im hektischen Alltag. Und Hand aufs Herz, welchen Eltern ist es noch nie passiert, dass sie sich zu Handlungen haben hinreissen lassen, die sie im Nachhinein bereuen? Wichtig ist, wie Eltern damit umgehen. Man kann sich beim Kind entschuldigen und sich geeignete Strategien aneignen, die helfen, wenn die Nerven wieder einmal blank liegen. Die Kinderlobby bietet unvoreingenommen Hand für Kinder, Jugendliche und Eltern.
Gewaltprävention ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe
Natürlich sind Eltern verpflichtet, und in der Regel ist es ihnen auch ein grosses Anliegen, die gesunde Entwicklung ihres Kindes zu fördern und Gewalt zu vermeiden. Damit dies gelingen kann, brauchen sie Zeit für ihre Kinder und Elternkompetenz. Gewaltfrei aufwachsen zu dürfen, ist ein Kinderrecht nach Artikel 3 im Kinder- und Jugendgesetz KJG. Land und Gemeinden sind verpflichtet, diesem Recht zur Umsetzung zu verhelfen: Mit entsprechenden Gesetzen, guten Rahmenbedingungen für Familien sowie niederschwelligen Bildungs- und Beratungsangeboten für Eltern und mit Präventionskampagnen.
Staatsanwalt Robert Wallner betont, dass das Strafrecht ultima ratio ist und dann greift, wenn Aufklärung, Beratung, Hilfestellungen oder Interventionen des Kinder- und Jugenddienstes, die bis zur Fremdunterbringung gehen können, keine Verbesserung bringen.
Ein «Klaps auf den Hintern» oder die «Ohrfeige» sind manchmal verharmlosende Umschreibungen von erheblicher Gewalt.
Schläge in das Gesicht oder gegen den Körper, die Hämatome, Striemen, Verletzungen am Trommelfell oder ähnliches verursachen, sind als Körperverletzungen strafbar. Auch ohne sichtbare Verletzung kann Strafbarkeit wegen des Vergehens des Quälens und Vernachlässigens vorliegen. So zum Beispiel, wenn die Erziehungsmethode zu über einen gewissen Zeitraum andauernden oder sich wiederholenden Schmerzen, Leiden oder Angstzuständen führt, die mit einer erheblichen Beeinträchtigung des psychischen oder physischen Wohlbefindens verbunden sind.
Wir dürfen nicht wegschauen!
Es gibt die körperliche Gewalt wie etwa Schütteln, Schlagen, Stossen oder Schlimmeres und seelische Gewalt wie Drohen, Abwerten, Blossstellen oder Liebesentzug. Auch das Miterleben von Gewalt zwischen den Eltern gehört dazu. Wenn grundlegende Bedürfnisse der Kinder wie Fürsorge, Essen und Zuwendung von den Eltern nicht erfüllt werden, bezeichnet man das als Vernachlässigung. Auch das ist eine Form von Gewalt. Wenn Kinder in irgendeiner Form Gewalt erleben, wirkt sich das je nach Kind unterschiedlich aus. Es kommt darauf an, wie häufig es passiert, wie die Eltern damit umgehen und auch das Alter und die Persönlichkeit des Kindes spielen eine Rolle.
Wenn wir Gewalt beobachten, kann man je nach Situation die Gewalthandlung direkt ansprechen. Man kann sich auch selbst bei einer Fachstelle beraten lassen, um geeignete Mittel und Wege zu finden, dem Kind zu helfen. Laut Gesetz ist jede Person, die den begründeten Verdacht über das Vorliegen einer schwerwiegenden Verletzung oder Gefährdung des Wohles eines Kindes oder Jugendlichen hat, verpflichtet, beim Amt für Soziale Dienste Meldung zu erstatten. Wer nicht direkt an das Amt gelangen möchte wendet sich an das Eltern Kind Forum, Kinderärzte, die Ombudsstelle für Kinder und Jugendliche oder bei sexueller Gewalt an die Fachgruppe gegen sexuellen Missbrauch.
Gesetzliche Lage in Liechtenstein
Liechtenstein hat die Kinderrechtskonvention der Vereinten Nationen (UNKRK), die
drei Fakultativprotokolle zu dieser Konvention und das Übereinkommen
des Europarates zum Schutz von Kindern vor sexuellem Missbrauch, die «Lanzarote Konvention», ratifiziert. Das Gewaltverbot in der Erziehung ergibt sich unter anderem aus Art 19 UNKRK. Die Umsetzung erfolgte im Kinder- und Jugendgesetz KJG, im Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuch ABGB und im Strafgesetzbuch. Artikel 137 Absatz 2 ABGB etwa stellt klar:
«Die Anwendung jeglicher Gewalt und die Zufügung körperlichen oder seelischen Leides sind unzulässig.»
Die UNKRK wurde von Liechtenstein 1996 ratifiziert. Es ging darum, Kinderrechte
nicht nur zu proklamieren, sondern auch einklagbar zu machen. Dazu wurden auch Gesetze angepasst. Beispielsweise wurde die Funktion einer Ombudsperson geschaffen
und in Artikel 102 KJG die gröbliche Verletzung elterlicher Erziehungspflicht
unter Strafe gestellt. Die elterliche Erziehungspflicht bezieht sich auf Artikel 3 KJG.
Demnach haben Kinder und Jugendliche ein Recht auf gewaltfreie Erziehung.
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Mehr zu OSKJ
Die OSKJ ist «Wächterin» der Kinderrechte und Anlauf und Beschwerdestelle in Kinder- und Jugendfragen. Sie informiert über die Kinderrechtskonvention, überwacht deren Umsetzung in Liechtenstein und gibt Empfehlungen zur Verbesserung der Situation von Kindern und Jugendlichen ab. Sowohl Kinder selbst als auch Erwachsene können sich mit ihren Anliegen an die OSKJ wenden. Sie vermittelt bei Schwierigkeiten mit Behörden, öffentlichen oder privaten Einrichtungen. Seit 2017 gehört die OSKJ zum Verein für Menschenrechte in Liechtenstein.
Margot Sele Ombudsfrau Werdenbergerweg 20 9490 Vaduz
T +423 230 22 33
margot.sele@oskj.li
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